Farbversprechen
Der Redner steht ein wenig steif am Podium, die Arme eigenartig locker vor dem Bauch verschränkt, und blinzelt nervös ins gedämpfte Licht. Er bewegt sich kaum beim Sprechen, blickt nicht ins Publikum, hat keine Powerpoint-Präsentation vorbereitet. Er spricht frei, mit unbewegtem Gesicht, übers Skifahren, den Geschwindigkeitsweltrekord im Abfahrtslauf von 65 Meilen die Stunde, den er hält, von seiner Frau, die er beim Skifahren traf, während sie vor ihm fuhr und ihm durch Zuruf die Richtung anwies, darüber, wie aufregend es ist, gelb zu sehen. Dabei zeigt er in meine ungefähre Richtung, vor mir sitzt eine Studentin in einem gelben Sweatshirt. Michael May hatte mit drei Jahren einen Unfall, der ihn ein Auge kostete und auf dem anderen erblinden liess - die Hornhaut wurde undurchsichtig. Als er 46 war, drückten ihm die Ärzte der Uniklinik in San Diego einen Stammzellenring und eine neue Hornhaut aufs Auge. Die Operation gelang, und May trat eine Reise durch die Medien an, der wundergeheilte Blinde mit dem Abfahrtsskirekord. Es gibt eine Handvoll anderer solcher Fälle, oft gelang zwar die Operation, aber die folgende radikale Umstellung, der Schimmer Licht - May sieht hauptsächlich Bewegung und Farbe, keine Details - stürzte die meisten Patienten in Depressionen. May führt seinen Erfolg darauf zurück, dass er sich als Blinden versteht, und das zurückgegebene Augenlicht als Zusatz, nicht als etwas, das ihm zuvor gefehlt hätte. Das ausdruckslose Gesicht über die Köpfe des Publikums gewandt, die Augen geschlossen, sagt er: "Seeing is wonderful. But not seeing is also wonderful."
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